Von Trennlinien und Brenngläsern
Immer wieder hören wir von klugen Menschen in diesen Zeiten, dass sich durch die Pandemie das sprichwörtliche Brennglas auf Situationen legt, die ohnehin schon da waren und nun eben verstärkt werden. Sehr sehenswert dazu etwa die gestrige Podiumsdiskussion im ORF von Mitinitiator Konrad Paul Liessmann mit hochrangigen Gästen.
Die Verschiedenheit der Perspektiven lässt sich hier so leidenschaftlich mit-empfinden, dass man gut verstehen kann, warum einfache Lösungen völlig unmöglich sind. Trennlinien der verschiedenen Ansprüche, Einstellungen und Haltungen verlaufen quer durch unsere Gesellschaft – weltweit; zuweilen sogar familienintern.
Ähnlich spannend und aufschlussreich dürfte das neue Buch werden, das demnächst im engagierten Passagen Verlag herauskommt: Slavoj Žižeks “Pandemie! II – Chronik einer verlorenen Zeit“. Denn: Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate ist die Frage “Wie wollen wir leben?” drängender denn je. Jedoch – hier prallen “… Gesellschaftsvisionen aufeinander”, so Žižek laut Börsenblatt.
“Sind wir Libertäre wie Dilley und lehnen jeden Eingriff in unsere persönlichen Freiheiten ab? Sind wir Utilitaristen und nehmen den Tod Tausender von Menschen in Kauf, damit die Mehrheit wirtschaftlich gut dasteht? Sind wir Anhänger eines starken Staats und der festen Überzeugung, dass uns nur strenge Kontrollen und Maßnahmen vonseiten der Regierung retten werden? Sind wir Esoteriker und vertreten die Auffassung, die Pandemie sei eine Warnung der Natur oder eine Strafe für unseren verschwenderischen Umgang mit natürlichen Ressourcen? Vertrauen wir darauf, dass uns Gott lediglich prüfen möchte und er uns irgendwann einen Ausweg weisen wird? Jeder dieser Standpunkte impliziert eine bestimmte Vorstellung davon, was den Menschen ausmacht. So gesehen, wird jeder zwangsläufig zum Philosophen, der Strategien zur Bewältigung der Krise vorschlägt.“
Conclusio: Durch welche Brille wir auch schauen, es ist alles richtig – und zugleich auch falsch. Aber es wird wohl nach einer gewissen Zeit, so Liessmann in seinem versöhnlichen Schlusswort, auch an uns liegen, das, was wir in diesen Monaten an kritischem Potential gewinnen können, in die Zukunft hinüberzuretten. Wichtig sei dazu, sich spätestens im Nachhinein die Frage zu stellen: Was an dem, was schon vor der Krise falsch gelaufen war, diese Krise mitbedingt hat.