Wie beurteilen Philosophen die derzeitige Corona-Krise?
Alles, was unsere moderne westliche Gesellschaft bislang als selbstverständlich angenommen hat, ist mit dem Coronavirus nicht mehr gegeben. Mit diesem Thema beschäftigte sich auch der letzte „kulturMontag“ im ORF: Der individuellen Freiheit, der Mobilität und Beweglichkeit sind plötzlich Grenzen gesetzt in einer Welt, die grenzenlos sein will. Ausgangssperren werden verhängt, Bürgerrechte eingeschränkt, Quarantäne-Maßnahmen getroffen. Globalisierungsgegner reiben sich verschämt die Hände, versucht man sich doch in der Krise abzuschotten. Zentralistisch oder autoritär geführte Staaten, wie China scheinen im Kampf gegen Seuchen im Vorteil zu sein, zählt doch hier die Gemeinschaft und nicht das Individuum. Die westliche Welt befürchtet eine globale Rezession. Kommt die Demokratie an ihre Grenzen? Wird die Menschheit zur Demut gezwungen? Befeuert das Virus Nationalismen? Und kann dieser Ausnahmezustand ein Umdenken in unseren Handlungen bewirken?
Die Coronakrise und der Umgang damit sei “für jeden von uns eine ganz außergewöhnliche Situation”, so Konrad Paul Liessmann im Interview mit dem „kulturMontag“. Jeder müsse sein Leben “mehr oder weniger radikal umstellen”. Der aktuelle Ausnahmezustand hält für den Wissenschafter auch die “ungeheure Paradoxie bereit, dass Solidarität heute bedeutet, sich von den Menschen zu distanzieren“. Der Umgang mit der Krise ist bisher für ihn eher ein Anzeichen für die Stärke der Demokratie. “Warum? Auch eine Demokratie ist ja nicht vor Katastrophen gefeit, in denen außergewöhnliche Maßnahmen getroffen werden müssen; dass etwa das Versorgungssystem, das Gesundheitssystem an Kapazitätsgrenzen stösst. Die entscheidende Frage ist, wie damit umgegangen wird. Ob rechtsstaatliche Normen eingehalten werden oder ob Willkürherrschaft besteht”. Das wurde seiner Einschätzung nach in Österreich bis jetzt einstimmig und richtig gemacht. Die moderne Idee, mittels Technik die Natur mehr oder weniger zu beherrschen, hat laut dem Philosophen angesichts des Coronavirus allerdings “einen schweren Einbruch erlitten”. Auf solche Situationen sei die Gesellschaft “nicht trainiert worden“.
Philosophie rät generell zur Besonnenheit; auch weil “kein Übel ewig währt”, wie Epikur meinte.
So können Krisen “Denkräume eröffnen”, sagt die Philosophin und Publizistin Svenja Flaßpöhler
im NDR-Kultur-Interview.
Flaßpöhler: “Wir sind in einer Situation, wo man immer beide Seiten sehen muss. Es gibt zum einen eine sehr negative, fast regressive Seite dieser Krise. Wir ziehen uns immer mehr zurück – nicht nur im Nationalen, sondern auch im Privatraum. Wir nehmen nicht mehr am Kulturleben teil. Es gibt aber auf der anderen Seite auch ganz positive Effekte, und da hilft es, in die Philosophie zu schauen. Philosophen wie Martin Heidegger oder Blaise Pascal haben immer betont, dass das öffentliche Leben immer auch eine Art von Ablenkung, von Flucht ist, und dass dieses Zurückgeworfensein und die Tatsache, dass man Stille und Nichtstun aushalten muss, immer mit einem Erkenntnisgewinn einhergeht. Insofern glaube ich, dass diese Krise auch Denkräume eröffnen kann – und zwar nicht nur in existenziell-privater Hinsicht, sondern auch in politischer Hinsicht”.
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Der Philosophie-Professor Heinz-Ulrich Nennen (er lehrt am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), rät zur Gelassenheit. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die philosophische Psychologie.
In einem
Interview mit den Badischen Neuesten Nachrichten zitiert er Epikur: „Ein einziger Grundsatz wird dir Mut geben, nämlich der Grundsatz, dass kein Übel ewig währt, ja nicht einmal sehr lange dauern kann“ und meint, man solle sich also keine Sorgen machen, die über den Tag hinausgehen, denn: “Wer Angst hat, lebt nicht in der Gegenwart und kann das Leben eigentlich nicht genießen. Insofern ist es widersinnig, sich zu sorgen, und das, worum man sich sorgt, eigentlich aufzugeben. Andererseits gebietet die Philosophie auch, nicht nur an sich selbst sondern auch an andere zu denken. Zum Beispiel, indem man andere Menschen nicht anniest“.
Und was man noch tun könne? Dazu meint er: “Es gibt im Daoismus den Begriff „Wu-Wei“. Er bedeutet in etwa „Handeln durch Nichthandeln“ und ist eine Art minimal-invasives Verfahren. Durch Nichthandeln oder zumindest sehr geringe Veränderungen geht der Mensch mühelos seinen Weg – in unserem Fall durch die Corona-Krise. Wir sollten immer daran denken, dass die Zukunft weder ganz noch gar nicht in unserer Hand liegt.“
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Übrigens – jetzt könnte die ideale Zeit sein, um Bücher zu lesen 😉. Zum Beispiel die aus der Reihe “Die Philosophen kommen“.
Bleiben Sie gelassen. Bleiben Sie gesund.
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