Douglas Rushkoff, Internet-Pionier, Autor und Medientheoretiker gab mir die Erinnerung an die Leidenschaft zurück, die ich empfunden habe, als ich 1989 das erste Mal von Internet, Cyberspace und Virtual Reality hörte und enthusiastisch darüber zu schreiben begann. Dutzende Konferenzen, Interviews, ja sogar ein eigenes Medium namens „Intertech“, dessen Chefredakteurin ich war, eröffneten mir für die darauffolgenden Jahre eine neue Nische im Journalismus, die ich voller Faszination in zahlreichen Printmedien ausfüllte. In dieser Sternstunde Philosophie – Thema „das Mindset der Tech-Milliardäre – Survival of the fittest“ – macht Rushkoff fühlbar, was in den letzten 35 Jahren passiert ist und wie es geschehen konnte, dass unsere (digitale) Welt heute dort ist, wo sie ist.
In den frühen 1990er-Jahren erträumten sich digitale Pioniere wie Douglas Rushkoff das Internet als machtfreien Ort, der allen Zugang zu Informationen bieten würde, wo man sich untereinander frei austauschen könnte. Doch statt globaler Vernetzung und barrierefreier Bildung machten Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook oder Apple aus dem offenen Netzwerk immer mehr einen von wenigen Akteuren dominierten Markt.
Die liberale Demokratie wirkt angeschlagen. Wie zukunftsfähig ist unser Politik- und Gesellschaftsmodell noch? Darüber diskutiert Richard David Precht in seiner ZDF-Sendung mit der britischen Philosophin Erica Benner. Sie wuchs in Japan und Großbritannien auf und lehrt heute nach vielen Stationen rund um die Welt an der Hertie School in Berlin.
Politiker: Aufgepasst! Die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik sei offensichtlich, attestiert Benner. Eine wachsende Zahl an Wählern hat das Gefühl, die regierenden Eliten hätten hauptsächlich ihre eigene Karriere im Blick, nicht aber die immer dringlicher werdenden Belange der Bürger. Sie konkurrieren weniger um gerechte und hilfreiche Lösungen, sondern vielmehr gegeneinander.
Besonders junge Menschen sehen ihre politische Einflussmöglichkeiten eingeschränkt. Sie artikulieren sich lieber in den sozialen Medien und ihren Meinungsblasen. Die Teilhabe der Menschen werde nicht mehr gerecht ausgehandelt. Ein Gefühl von Kontrollverlust breite sich aus.
Wir befinden uns in einer Krise, die durch mangelnde Aufmerksamkeit für die sozio-ökonomischen Bedingungen der Menschen entstanden ist. Die aber brauche es, so Benner, um die Demokratie bei guter Gesundheit zu halten. Demokratien sind Ordnungen in denen die Macht unter Menschen aufgeteilt wird – auch unter jenen, die anders sind als man selbst.
Rasch befalle die Menschen dann Ohnmacht und Wut, wenn sie das Gefühl beschleicht, in ihrer Mitbestimmung eingeschränkt zu werden. Fühlt man sich machtlos, dann wird es sehr verlockend, jemanden zu wählen, der verspricht, sich mit aller Macht für tiefgreifende Änderungen stark zu machen. Von der Antike bis zur Gegenwart sei dies ein immer wiederkehrendes Muster.
Friedrich Nietzsche war der Philosoph des Vergessens. Nicht nur in meinem Buch vom Erinnernvor 6 Jahren habe ich (auch) darüber geschrieben.
Auch Moritz Rudolph, Redakteur beim Philosophie Magazin schreibt dazu: „Fremde Gedanken ließ er (Nietzsche, Anm.) nur ungern an sich heran. Und wo sie ihm schadeten, stieß er sie sofort wieder ab. Kein Groll, keine Verwirrung, kein Ballast sollten seinen Charakter beschweren. Auf dem Weg zur Wahrheit bevorzugte er leichtes Marschgepäck. Davon versprach er sich erstens eine gewisse Geschmeidigkeit, die zum Denken nun einmal dazugehört, zweitens Eleganz im Ausdruck und drittens die angenehme Eigenschaft, mit sich selbst im Reinen zu sein, wodurch Großzügigkeit möglich wird. In allen drei Bereichen – kognitiv, ästhetisch und charakterlich-moralisch – droht KI zu scheitern. Der Grund hierfür ist, so Adrian Lobe in seinem Beitrag, ihre Unfähigkeit zu vergessen. Um dieses Nietzsche-Problem zu lösen, müsste man ihr beibringen, nicht alles in sich hineinzustopfen, was man ihr hinwirft, also letztlich die Entwicklung eines guten Geschmacks.“ Hier geht´s zum erwähnten Lobe-Beitrag.
Ein Tipp ist auch das aktuelle und wieder sehr lesenswerte Philosophie Magazin und der Themenkomplex „Bin ich meine Gewohnheit?“
Kann man Perspektiven verschenken? Blickwinkel? Gedanken? Auszeit? Denkzeit?
Schenken Sie sich und anderen ein Privileg, das wir uns vielleicht öfter leisten sollten: Nachfragen, Differenzieren, Zuhören. Oder Lesen! …
Schenken Sie Gedanken. Philosophisches. Fragen, Antworten, Perspektiven. Nuanciert. Aus verschiedenen Blickwinkeln.
Schenken Sie Bücher aus der Reihe „Die Philosophen kommen“.
Interviews mit zahlreichen zeitgenössischen Philosophen – wie Liessmann, Pfaller, Scobel, Zizek… mit TED Konferenz-Speakern und Philosophie Festival-Veranstaltern…
Überall erhältlich – ob online oder beim Buchhändler Ihres Vertrauens auf Bestellung.
Die Philosophen kommen. Und vielleicht sind gerade sie die neuen Vorbilder, die unsere aufgeklärte Welt heute braucht; sind sie es doch, die sich aufs Denken verstehen – aufs Nach-, Quer- und vielleicht auch Umdenken. Im Stillen und in der Öffentlichkeit.
Welchen Praxisbezug, welche Möglichkeiten hat Philosophie heute, im Zeitalter digitaler Medien? In einer Welt, in der alles im Umbruch ist? Sind Werte Luxus? Was ist gutes Leben?
Und – wie ist das mit der Erinnerung? Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken.
Richard David Precht im hochinteressanten Gespräch mit der israelisch-französischen Soziologin Eva Illouz. Ein TV-Tipp für alle, die sich schon länger fragen, warum Politik scheinbar plötzlich dermaßen emotional aufgeladen ist.
In liberalen Gesellschaften vermehren sich nach und nach die Rechte und Freiheiten für die Menschen, so Precht. Damit steigen auch ihre Ansprüche an sich und die Institutionen. Werden diese nicht erfüllt, kommt es erst zur Enttäuschung, dann zu Neid, Zorn und Wut.
Noch nie habe der Mensch so hohe Erwartungen an sein Leben gestellt wie heute, sagt Eva Illouz, die sich in ihren Büchern immer wieder mit Gefühlen beschäftigt hat. Überall – in Filmen oder TV-Shows – werde suggeriert, dass wir im Leben alles erreichen können, wenn wir es nur entschieden genug wollen. Bleiben diese Ansprüche jedoch unerfüllt, halte man sich oft selbst für nicht gut genug und kämpfe mit der eigenen Scham. Eine explosive Stimmung, so Illouz. Die Wahrnehmung widersprüchlicher Kräfte, die am modernen Menschen zerren, schlage in der gegenwärtigen Gesellschaft immer schneller um in Wut und Zorn. Zugleich flüchten sich Menschen immer häufiger in eine Opferrolle.
Die Spannung zwischen diesen beiden Polen – zwischen Wut und Opferempfindung – bestimmen die modernen Gesellschaften. Die Folge ist laut Eva Illouz die Eskalation der Empfindlichkeiten. Die kleinste Kränkung oder Ungerechtigkeit wird auf eine höhere Ebene transferiert und gewinnt eine Bedeutung, die sich von der ursprünglichen Intention weit entfernt hat.
Einer solchen Gesellschaft, folgert Precht, fehle dann auch die Fähigkeit zur Resilienz. Und wenn sich jeder, der sich kritisch äußert, dafür schämen soll, komme es zur Gegenreaktion. Ist man nicht bereit, sich abkanzeln zu lassen, reagiert man mit trotzigem Stolz.
Sind das Zeichen einer dysfunktionalen Kommunikation, die die Gesellschaft unnachgiebiger, aggressiver und auch gewaltbereiter macht?
Die Texte und die darauffolgenden Diskussionen haben mich gerettet vor der 35-grädigen Hitze in Wien.
Im verdunkelten Zimmer verfolge ich die flirrende Atmosphäre der Literaturbegeisterten und genieße. Und gerade dort, wo es nichts anderes ist als l’art pour l’art. Die Kunst, die sich selbst genügt.
Alle Jahre wieder Bachmannpreis. Ich verfolge diese Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, an denen das geschriebene Wort einen besonderen Stellenwert hat, zumeist im Fernsehen. Und ich freue mich über die Vielzahl der Positionen, freue mich über manche der Texte und fast noch mehr über die Verschiedenheit der Perspektiven darüber, wie man über Literatur sprechen kann.
„An diesen Tagen am Wörthersee scheint plötzlich allen klar, wozu es Literatur braucht und welche Stärken und Faszinationskräfte sie hat“, so der Juryvorsitzende Klaus Kastberger in seiner Abschlussrede.
Dazwischen immer wieder „echte Nachrichten“. Politische Umstürze. Krisen. Krieg. Bedrückend.
Dann liest Kastberger eine Textpassage aus einem Bachmann-Gespräch, das kurz vor ihrem Tod stattfand: „Man hat mich schon manchmal gefragt, warum ich einen Gedanken habe oder eine Vorstellung von einem utopischen Land, einer utopischen Welt, in der alles gut sein wird, in der wir alle gut sein werden. Darauf zu antworten, wenn man dauernd konfrontiert wird mit der Abscheulichkeit dieses Alltags kann ein Paradox sein. Was wir haben ist nichts. Reich ist man, wenn man etwas hat, das mehr ist als alle materiellen Dinge. Und ich glaube nicht an diesen Materialismus, an diese Massengesellschaft, an diesen Kapitalismus, an diese Ungeheuerlichkeit, die hier stattfindet. An diese Bereicherung der Leute, die kein Recht haben, sich an uns zu bereichern. Ich glaube wirklich an etwas. Und das nenne ich: Ein Tag wird kommen. Und eines Tages wird es kommen. Ja, wahrscheinlich wird es nicht kommen… denn man hat uns ja immer zerstört… seit so vielen tausend Jahren hat man es immer zerstört… es wird nicht kommen… und trotzdem glaube ich daran… denn wenn ich nicht daran glauben kann, kann ich auch nicht mehr schreiben.”
Mein Résumé dieses Wochenendes: Ja. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Aber sie interessiert ihn nicht.
Copyright: Johannes Puch.Tage der deutschsprachigen Literatur – Ingeborg Bachmannpreis 2024 Eröffnung
Was sind westliche Werte? Barmherzigkeit, Liebe und Loyalität gelten überall auf der Welt als moralisch. Was aber sind dann die vielzitierten westlichen Werte? Und warum kritisiert Richard David Precht das Etikett westlich? Und wie definieren sich die Menschenrechte? Deren Geschichte lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Menschenrechte sind aber vor allem mit einem Namen verbunden: mit dem des Philosophen Immanuel Kant. In dieser Folge sprechen Markus Lanz und Richard David Precht über eine wertegeleitete Außenpolitik und die diplomatische Kunst der leisen Töne. Auch über liberale Demokratien und Kant, der unter anderem davor gewarnt hat, sich in andere Länder und Kulturen einzumischen. Ein Podcast, den jeder hören sollte, der sich seit Monaten immer wieder die Frage nach der Umwertung aller Werte stellt.
Ob die Philosophen der Antike Sonne und Meer geschätzt haben? Wohl auf andere Art als wir das heute tun. Friedrich Nietzsche etwa war schon faszinierter von der Weite des Meeres, schrieb er doch in der 1882 veröffentlichten Fröhlichen Wissenschaft die Zeilen „Dorthin – will ich, und ich traue / Mir fortan und meinem Griff. / Offen liegt das Meer, ins Blaue / Treibt mein Genueser Schiff.“
Wer kennt nicht das Fernweh? Die Sehnsucht nach dem Meer, nach salziger Luft und der “arroganten Melancholie der Möwen”, wie es jemand einst formulierte. Wer träumte nicht hin und wieder von Strand, Sonne und dem Paradies? Vor allem nach langen und kalten Wintermonaten sind derlei Sommerfantasien durchaus weit verbreitet.
Ganz ehrlich: Warum je wieder fort von hier? fragt man sich, wenn man in die Bücher von Stefan Maiwald eintaucht. Sie schmecken ähnlich wie ein Glas johannisbeerfarbenen Weins oder antipasto prosciutto con melone und man kann beim Lesen förmlich das fischlige Meer im Hafen riechen. Ich habe einige seiner Bücher solchermaßen genossen und auch schon mehrmals verschenkt.
Der Autor und Wahlitaliener Stefan Maiwald lebt seit zwanzig Jahren auf der Insel Grado zwischen Venedig und Triest und schreibt Romane, Krimis und Sachbücher. Sein Bildband „Beach Life” ist eine Liebeserklärung an den Strand und an das unbeschwerte Lebensgefühl. Die Fotografien erwecken lustvolles Fernweh und verstehen es, in Text und Fotografie die “Schwerelosigkeit dieses Sehnsuchtsortes” einzufangen.
Maiwald porträtiert schillernde Persönlichkeiten wie Coco Chanel oder Brigitte Bardot und enthüllt ihre intime Beziehung zum Strand. „Beach Life” erzählt Geschichten rund um Coco Chanels Erfindung der Sommerbräune oder Thomas Manns Inspirationsquelle: die Weite des Ozeans, in der sich der Geist zu entfalten vermag. „Beach Life” ist so auch eine Hommage an die faszinierende Beziehung zwischen Mensch und Strand.
Die charmant reizvollen Hochglanz-Aufnahmen präsentieren den Strand in all seinen Facetten: vom lebendigen Treiben, von menschenleeren Stränden, vom Surfen und Beachvolleyball, von stilvollem Auftreten, exklusiven Destinationen und Berühmtheiten.
Es gibt Bücher, die man immer wieder zur Hand nimmt – ob aus Gründen des Inhalts oder der Ästhetik. Ein Buch, das man gern am Couchtisch liegen hat, weil es so schön ist – so zauberhafte Bilder hat, so herrlich riecht, so viele Wünsche und Sehnsüchte weckt…
Und – wer immer up to date bleiben will, was in der Region um Grado so passiert, der abonniert den Newsletter Post aus Italien. Buon divertimento! Allora, salute!
Weg mit dem Bekennniszwang! Wenn gilt: ‚Wer meine Theorie angreift, greift mich an‘, ist die Freiheit der Wissenschaft an ein Ende gekommen, schreibt Konrad Paul Liessmann im Medium “Der Pragmaticus”. Ein sehr lesenswerter Artikel. Denn: “Konformismus und Aktivismus infizieren die Wissenschaft. Das sind schlechte Voraussetzungen für bahnbrechende Entdeckungen.”
Es gibt für Wissenschaftler und Intellektuelle also gute Gründe, die Berührung mit dem Schmutz des politischen Geschäfts zu vermeiden, so Liessmann. “Nicht, weil dieses unnötig oder prinzipiell prekär wäre, sondern weil es den Prozess der theoretischen Neugierde sabotiert, weil es die Offenheit des Diskurses, ohne die es keinen Fortschritt gibt, blockiert.
Es kann deshalb schon auch beunruhigen, mit welch demonstrativer Lust zeitgenössische Aktivisten in diesem Schmutz wühlen. Sie bewerfen Kunstwerke mit Suppe und Brei, sie kleben sich an staubige Straßen, sie beschmieren Fassaden und Denkmäler – so, als wollten sie Adornos These demonstrativ bestätigen: Wir machen uns, um die Welt zu retten, gerne die Hände schmutzig; dafür verzichten wir aufs Denken. Im Notstand bleibt keine Zeit für Reflexion. Das mag für junge Weltretter eine sinnerfüllte Maxime sein. Für die Wissenschaft und ihre Freiheit ist es ein Desaster.”
Eine Frage, die in letzter Zeit vermehrt aufpoppt – an den verschiedensten Stellen: Gibt es die Guten und die Bösen? Schwerpunktthema und Titelstory des aktuellen Philosophie Magazins versuchen sich an Antworten – durchaus lesenswert! Etwa auch die Frage, wie das Böse in die Welt kommt, hat Philosophen seit jeher beschäftigt. Steckt Absicht dahinter oder Arglosigkeit? Können wir es überhaupt restlos verstehen? Über das Böse als ethische Kategorie denkt Slavoj Žižek nach.