Wenn man Till Brönners Interpretationen italienischer Songs hört, die er mit der Frankfurt Radio Big Band spielt und sie mit den Originalversionen vergleicht – etwa Rocco Granatas Marina, Paolo Contes Via Con Me oder Enrico Carusos O Sole Mio ist es, als ob man vor einem Marktstand steht und sich zwischen Kochschinken und Prosciutto Crudo entscheiden soll. Was vielleicht unfair erscheinen mag, da ich die beliebten und bekannten Originalfassungen durchaus sehr mag. Dennoch ist Tills Eleganz eine andere, die sich durch das spürbare Dolce Vita zieht, der Duft nach Zypressen ist ein bisschen subtiler, das Rauschen des Meeres ein bisschen tiefblauer, feiner und farbenfroher als geliebt-gewohnt. Nuancierter. Differenzierter. Sinnliches Vergnügen pur.
Schade, dass Jazz – ebenso wie Philosophie – in unseren Breiten nicht präsenter sind.
Weibliche Philosophinnen – gibt es nicht? Im Gegenteil. Eine beeindruckende Zahl von Frauen prägte die moderne Philosophie und damit das Denken der letzten zweihundert Jahre. Die norwegische Philosophin und Professorin in Philadelphia Kristin Gjesdal präsentiert elf außergewöhnliche Frauen, die zu unrecht aus der Geschichte der Philosophie verschwunden sind.
Man muss keine radikale Feministin sein, um eines klarzustellen: Ohne das Wissen der Frauen wäre die Welt, in der wir heute leben, undenkbar. Seit der Antike haben Frauen über Metaphysik, Ethik, Naturphilosophie, Gesellschaft und Politik nachgedacht und geschrieben. Der Geist, er hat kein Geschlecht – die Denker freilich, sie haben ein solches sehr wohl. Wir denken uns „den Philosophen“ aber unweigerlich als männlich. Das ist simpel und einfach falsch.
Um nur eine der philosophischen Rebellinnen herauszugreifen, die ich besonders schätze: Man erfährt Spannendes über Lou Andreas Salomé, die ich in diesem Blog auch schon mehrmals erwähnte – wie etwa dass Philosophie und Poesie – unter anderem – die wichtige Aufgabe hätten nicht zu kategorisieren oder zu trennen, sondern vielmehr die Lebenskraft des Erotischen zu beschreiben. Etwa dass das Individuum in einem größeren Zusammenhang aufgeht: sei es in der geliebten Person, in sozialer Gemeinschaft oder in der grandiosen Natur.
Aber auch etwa Simone de Beauvoir zum Thema Existenz und Freiheit und einige andere außergewöhnlich kluge Frauen in diesem Buch verdienen philosophische Aufmerksamkeit. Ein heißer Tipp für kühler werdende Tage.
Konrad Paul Liessmann und Barbara Stöckl waren die Gastgeber eines weiteren Philosophischen Forums im nächtlichen ORF. Das spannende Thema diesmal: Liebe, Leidenschaft und Ehe – Wie geht Beziehung heute?
Die Sehnsucht nach Nähe, Geborgenheit und einem gemeinsamen Lebensentwurf besteht alters- und generationenübergreifend. Auch ältere Menschen hoffen noch auf die große Liebe. Die Freiheit unserer Zeit bringt zugleich große Herausforderungen für Lust- und Liebesfragen: Wie verändern Selbstoptimierung und Dating-Apps unsere Bindungsfähigkeit – und unser Bild von Liebe? Was ist Liebe überhaupt? Und braucht es dazu noch die Institution der Ehe?
Ein spannendes Gespräch mit einer Menge von unterschiedlichen Perspektiven zur Liebe, zur Ehe, zu Macht, Dating Apps, Polyamorie, AI und vieles mehr. Für mich sehr schön, als Barbara Stöckl zum Ende der Sendung den Philosophen Liessmann fragt, ob Philosophie überhaupt die richtige Disziplin sei, sich dieser Frage zu widmen – darauf seine (von mir nicht ganz unerwartete) lachende Antwort: Abgesehen davon, dass die Philosophie die geeignete Disziplin sei, sich allen Dingen zuzuwenden, stecke ja schließlich auch in ihrem Namen die Liebe drinnen (die Liebe zur Weisheit).
Die Gäste: Emilia Roig, Politologin, Robert Pfaller, Philosoph, Martina Leibovici-Mühlberger, Ärztin und Psychotherapeutin, Cornelia Mooslechner-Brüll, philosophische Praktikerin Martin Lintner, Moraltheologe
Mami, warum ist eigentlich alles so wie es ist (und nicht anders)? Mit dieser und ähnlichen Warum-Fragen habe ich meine Mutter schon als Kleinkind teils amüsiert, teils verblüfft. Die Frage, warum es überhaupt etwas und nicht nichts gibt, ist freilich eine tiefgründige philosophische und kosmologische und wird seit Jahrhunderten diskutiert. Auf die Frage nach dem Grund der Existenz gibt es keine einfache Antwort, und sowohl Philosophen als auch Physiker haben sich jahrhundertelang damit auseinandergesetzt.
In der Sinnkrise entgleiten Ziele, Werte und Deutungen des Lebens. In der säkularisierten Moderne wird sie zur verbreiteten Erfahrung. Wie lässt sie sich beschreiben? Und welches Potenzial liegt in ihr?
Die aktuelle Ausgabe des Philosophie Magazins stellt die Frage ebenso und versucht auf bewährt vielerlei Weise sie zu beantworten. Etwa berichten fünf Personen von ihren persönlichen Sinnerfahrungen, die zum Teil aus Brüchen erwachsen sind. Die Ethik-Professorin Eva Weber-Guskar hat für jede Geschichte eine philosophische Deutung parat.
Da Sinn freilich etwas höchst Subjektives ist, muss sich dieser Frage wohl jeder Mensch selbst stellen, beziehungsweise nach Antworten suchen. Eine lebenslange, spannende und zuweilen höchst überraschende Reise.
Douglas Rushkoff, Internet-Pionier, Autor und Medientheoretiker gab mir die Erinnerung an die Leidenschaft zurück, die ich empfunden habe, als ich 1989 das erste Mal von Internet, Cyberspace und Virtual Reality hörte und enthusiastisch darüber zu schreiben begann. Dutzende Konferenzen, Interviews, ja sogar ein eigenes Medium namens „Intertech“, dessen Chefredakteurin ich war, eröffneten mir für die darauffolgenden Jahre eine neue Nische im Journalismus, die ich voller Faszination in zahlreichen Printmedien ausfüllte. In dieser Sternstunde Philosophie – Thema „das Mindset der Tech-Milliardäre – Survival of the fittest“ – macht Rushkoff fühlbar, was in den letzten 35 Jahren passiert ist und wie es geschehen konnte, dass unsere (digitale) Welt heute dort ist, wo sie ist.
In den frühen 1990er-Jahren erträumten sich digitale Pioniere wie Douglas Rushkoff das Internet als machtfreien Ort, der allen Zugang zu Informationen bieten würde, wo man sich untereinander frei austauschen könnte. Doch statt globaler Vernetzung und barrierefreier Bildung machten Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook oder Apple aus dem offenen Netzwerk immer mehr einen von wenigen Akteuren dominierten Markt.
Die liberale Demokratie wirkt angeschlagen. Wie zukunftsfähig ist unser Politik- und Gesellschaftsmodell noch? Darüber diskutiert Richard David Precht in seiner ZDF-Sendung mit der britischen Philosophin Erica Benner. Sie wuchs in Japan und Großbritannien auf und lehrt heute nach vielen Stationen rund um die Welt an der Hertie School in Berlin.
Politiker: Aufgepasst! Die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik sei offensichtlich, attestiert Benner. Eine wachsende Zahl an Wählern hat das Gefühl, die regierenden Eliten hätten hauptsächlich ihre eigene Karriere im Blick, nicht aber die immer dringlicher werdenden Belange der Bürger. Sie konkurrieren weniger um gerechte und hilfreiche Lösungen, sondern vielmehr gegeneinander.
Besonders junge Menschen sehen ihre politische Einflussmöglichkeiten eingeschränkt. Sie artikulieren sich lieber in den sozialen Medien und ihren Meinungsblasen. Die Teilhabe der Menschen werde nicht mehr gerecht ausgehandelt. Ein Gefühl von Kontrollverlust breite sich aus.
Wir befinden uns in einer Krise, die durch mangelnde Aufmerksamkeit für die sozio-ökonomischen Bedingungen der Menschen entstanden ist. Die aber brauche es, so Benner, um die Demokratie bei guter Gesundheit zu halten. Demokratien sind Ordnungen in denen die Macht unter Menschen aufgeteilt wird – auch unter jenen, die anders sind als man selbst.
Rasch befalle die Menschen dann Ohnmacht und Wut, wenn sie das Gefühl beschleicht, in ihrer Mitbestimmung eingeschränkt zu werden. Fühlt man sich machtlos, dann wird es sehr verlockend, jemanden zu wählen, der verspricht, sich mit aller Macht für tiefgreifende Änderungen stark zu machen. Von der Antike bis zur Gegenwart sei dies ein immer wiederkehrendes Muster.
Friedrich Nietzsche war der Philosoph des Vergessens. Nicht nur in meinem Buch vom Erinnernvor 6 Jahren habe ich (auch) darüber geschrieben.
Auch Moritz Rudolph, Redakteur beim Philosophie Magazin schreibt dazu: „Fremde Gedanken ließ er (Nietzsche, Anm.) nur ungern an sich heran. Und wo sie ihm schadeten, stieß er sie sofort wieder ab. Kein Groll, keine Verwirrung, kein Ballast sollten seinen Charakter beschweren. Auf dem Weg zur Wahrheit bevorzugte er leichtes Marschgepäck. Davon versprach er sich erstens eine gewisse Geschmeidigkeit, die zum Denken nun einmal dazugehört, zweitens Eleganz im Ausdruck und drittens die angenehme Eigenschaft, mit sich selbst im Reinen zu sein, wodurch Großzügigkeit möglich wird. In allen drei Bereichen – kognitiv, ästhetisch und charakterlich-moralisch – droht KI zu scheitern. Der Grund hierfür ist, so Adrian Lobe in seinem Beitrag, ihre Unfähigkeit zu vergessen. Um dieses Nietzsche-Problem zu lösen, müsste man ihr beibringen, nicht alles in sich hineinzustopfen, was man ihr hinwirft, also letztlich die Entwicklung eines guten Geschmacks.“ Hier geht´s zum erwähnten Lobe-Beitrag.
Ein Tipp ist auch das aktuelle und wieder sehr lesenswerte Philosophie Magazin und der Themenkomplex „Bin ich meine Gewohnheit?“
Kann man Perspektiven verschenken? Blickwinkel? Gedanken? Auszeit? Denkzeit?
Schenken Sie sich und anderen ein Privileg, das wir uns vielleicht öfter leisten sollten: Nachfragen, Differenzieren, Zuhören. Oder Lesen! …
Schenken Sie Gedanken. Philosophisches. Fragen, Antworten, Perspektiven. Nuanciert. Aus verschiedenen Blickwinkeln.
Schenken Sie Bücher aus der Reihe „Die Philosophen kommen“.
Interviews mit zahlreichen zeitgenössischen Philosophen – wie Liessmann, Pfaller, Scobel, Zizek… mit TED Konferenz-Speakern und Philosophie Festival-Veranstaltern…
Überall erhältlich – ob online oder beim Buchhändler Ihres Vertrauens auf Bestellung.
Die Philosophen kommen. Und vielleicht sind gerade sie die neuen Vorbilder, die unsere aufgeklärte Welt heute braucht; sind sie es doch, die sich aufs Denken verstehen – aufs Nach-, Quer- und vielleicht auch Umdenken. Im Stillen und in der Öffentlichkeit.
Welchen Praxisbezug, welche Möglichkeiten hat Philosophie heute, im Zeitalter digitaler Medien? In einer Welt, in der alles im Umbruch ist? Sind Werte Luxus? Was ist gutes Leben?
Und – wie ist das mit der Erinnerung? Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken.
Richard David Precht im hochinteressanten Gespräch mit der israelisch-französischen Soziologin Eva Illouz. Ein TV-Tipp für alle, die sich schon länger fragen, warum Politik scheinbar plötzlich dermaßen emotional aufgeladen ist.
In liberalen Gesellschaften vermehren sich nach und nach die Rechte und Freiheiten für die Menschen, so Precht. Damit steigen auch ihre Ansprüche an sich und die Institutionen. Werden diese nicht erfüllt, kommt es erst zur Enttäuschung, dann zu Neid, Zorn und Wut.
Noch nie habe der Mensch so hohe Erwartungen an sein Leben gestellt wie heute, sagt Eva Illouz, die sich in ihren Büchern immer wieder mit Gefühlen beschäftigt hat. Überall – in Filmen oder TV-Shows – werde suggeriert, dass wir im Leben alles erreichen können, wenn wir es nur entschieden genug wollen. Bleiben diese Ansprüche jedoch unerfüllt, halte man sich oft selbst für nicht gut genug und kämpfe mit der eigenen Scham. Eine explosive Stimmung, so Illouz. Die Wahrnehmung widersprüchlicher Kräfte, die am modernen Menschen zerren, schlage in der gegenwärtigen Gesellschaft immer schneller um in Wut und Zorn. Zugleich flüchten sich Menschen immer häufiger in eine Opferrolle.
Die Spannung zwischen diesen beiden Polen – zwischen Wut und Opferempfindung – bestimmen die modernen Gesellschaften. Die Folge ist laut Eva Illouz die Eskalation der Empfindlichkeiten. Die kleinste Kränkung oder Ungerechtigkeit wird auf eine höhere Ebene transferiert und gewinnt eine Bedeutung, die sich von der ursprünglichen Intention weit entfernt hat.
Einer solchen Gesellschaft, folgert Precht, fehle dann auch die Fähigkeit zur Resilienz. Und wenn sich jeder, der sich kritisch äußert, dafür schämen soll, komme es zur Gegenreaktion. Ist man nicht bereit, sich abkanzeln zu lassen, reagiert man mit trotzigem Stolz.
Sind das Zeichen einer dysfunktionalen Kommunikation, die die Gesellschaft unnachgiebiger, aggressiver und auch gewaltbereiter macht?
Die Texte und die darauffolgenden Diskussionen haben mich gerettet vor der 35-grädigen Hitze in Wien.
Im verdunkelten Zimmer verfolge ich die flirrende Atmosphäre der Literaturbegeisterten und genieße. Und gerade dort, wo es nichts anderes ist als l’art pour l’art. Die Kunst, die sich selbst genügt.
Alle Jahre wieder Bachmannpreis. Ich verfolge diese Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, an denen das geschriebene Wort einen besonderen Stellenwert hat, zumeist im Fernsehen. Und ich freue mich über die Vielzahl der Positionen, freue mich über manche der Texte und fast noch mehr über die Verschiedenheit der Perspektiven darüber, wie man über Literatur sprechen kann.
„An diesen Tagen am Wörthersee scheint plötzlich allen klar, wozu es Literatur braucht und welche Stärken und Faszinationskräfte sie hat“, so der Juryvorsitzende Klaus Kastberger in seiner Abschlussrede.
Dazwischen immer wieder „echte Nachrichten“. Politische Umstürze. Krisen. Krieg. Bedrückend.
Dann liest Kastberger eine Textpassage aus einem Bachmann-Gespräch, das kurz vor ihrem Tod stattfand: „Man hat mich schon manchmal gefragt, warum ich einen Gedanken habe oder eine Vorstellung von einem utopischen Land, einer utopischen Welt, in der alles gut sein wird, in der wir alle gut sein werden. Darauf zu antworten, wenn man dauernd konfrontiert wird mit der Abscheulichkeit dieses Alltags kann ein Paradox sein. Was wir haben ist nichts. Reich ist man, wenn man etwas hat, das mehr ist als alle materiellen Dinge. Und ich glaube nicht an diesen Materialismus, an diese Massengesellschaft, an diesen Kapitalismus, an diese Ungeheuerlichkeit, die hier stattfindet. An diese Bereicherung der Leute, die kein Recht haben, sich an uns zu bereichern. Ich glaube wirklich an etwas. Und das nenne ich: Ein Tag wird kommen. Und eines Tages wird es kommen. Ja, wahrscheinlich wird es nicht kommen… denn man hat uns ja immer zerstört… seit so vielen tausend Jahren hat man es immer zerstört… es wird nicht kommen… und trotzdem glaube ich daran… denn wenn ich nicht daran glauben kann, kann ich auch nicht mehr schreiben.”
Mein Résumé dieses Wochenendes: Ja. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Aber sie interessiert ihn nicht.
Copyright: Johannes Puch.Tage der deutschsprachigen Literatur – Ingeborg Bachmannpreis 2024 Eröffnung