Eine Ménage-à-trois der besonderen Art: Wissen, Weisheit, Web
Das war sie wieder, die Nacht der Philosophie. Nunmehr zum fünften Mal – und wie immer spannend und bereichernd. Heuer im Quartier für Digitale Kultur.
Die so genannte „Digitalisierung“ hat in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Gesellschaftsbereiche erfasst und verändert. Fächerübergreifend bedienen sich mittlerweile freilich auch die Geisteswissenschaften der großen Schlagworte „Digital Humanities“, „Big Data“ und „Open Access“. Worin bestehen Gemeinsamkeiten von Philosophie und Technologie, wo gibt es Anknüpfungspunkte? Diese Frage beschäftigt mich seit ich Ende der 1980er-Jahre während meines Philosophiestudiums zu arbeiten begonnen habe. Vielleicht ist die Philosophie das große Ganze und zugleich auch das Dazwischen; das, was sich zwischen den Nullen und Einsern abspielt.
Ich erinnere mich gut, als ich als IT- und Wissenschaftsjournalistin immer wieder über eine Formel stolperte, die damals in sämtlichen Marketing-Abteilungen als heilsbringend beschworen wurde – die Vision von der allgegenwärtigen Information („Information At Your Fingertips“), erstmals formuliert von Software-Tycoon Bill Gates. So würde es also sein, man hätte dann das gesamte Wissen der Welt jederzeit zur Verfügung – zuhause am Computer, Smartphones waren damals noch nicht erfunden – und das Leben würde durch neue Medien und Technologien ein völlig anderes sein. Damals relativ unvorstellbar und mit einigen Kinderkrankheiten einhergehend. Aus heutiger Sicht scheint die Vision nun mehr oder minder gelungen und müsste nun grosso modo dem alten Wunsch der Enzyklopädisten entsprechen.
Vielfalt. Definieren. Differenzieren. Und Fragen, Fragen, Fragen.
Jedoch – angenommen, es wäre so, lassen wir die mehr oder weniger gesicherte Verfügbarkeit des gesamten Wissens der Welt einmal beiseite – angenommen, wir könnten nun tatsächlich alles wissen, würde es uns weise machen? Würde es uns im Alltag helfen? Kann das Wissen um Krieg, Armut und Verzweiflung dieselben verhindern? Die Vielfalt der Perspektiven, die unbedingte Notwendigkeit und auch Fertigkeit, immer wieder neu zu definieren und zu differenzieren, sind es nicht vielmehr diese Parameter, die unseren täglichen Überlebenskampf leichter machen? Und das Wichtigste aus philosophischer Sicht ist für mich wohl die immer neu aufgeworfene Frage. Könnte es nicht auch anders sein? Warum passiert das gerade jetzt? Warum passiert es auf diese Weise? Wer steht dahinter und welche Interessen verfolgt er? Machen wir uns bewusst, wie wir leben? Warum wir gerade diesen Weg gewählt haben?
“Die Glücklichen sind neugierig” hat Friedrich Nietzsche gesagt. Dieses Diktum hat mich, ohne dass ich es damals gekannt hätte, schon als Kind erfreut und beseelt.
Warum Philosophie?
Philosophie, die Liebe zur Weisheit, gehört zu den Themengebieten, die scheinbar überflüssiges und nutzloses Gedankengut darstellen. Ein Mensch, der immer nur hinterfragt, kann für die Wirtschaft nur bedingt hilfreich, vielleicht sogar hinderlich sein; diese Einstellung begegnet philosophisch arbeitenden Menschen täglich. Und dennoch beruhen nicht nur auf dem Drang, die Welt zu erklären, so ziemlich alle bekannten Wissenschaften. Die Philosophie stellt Fragen, die sich seit Jahrtausenden nicht verändert haben – wie Kants „was soll ich tun, was kann ich wissen, was darf ich hoffen“. Auch Fragen nach Werten, Moralbegriffen, nach der Sterblichkeit der Seele oder der menschlichen Freiheit. Freilich schult das Hinterfragen auch die Fähigkeit zu differenzieren. Und welches Geschick könnte uns besser auf die Herausforderungen vorbereiten, die in einer täglich komplexer werdenden Welt – zusehends auch „bereichert“ durch künstliche Intelligenz – vor uns liegen.
Mehr philosophische Vielfalt hier in Buchform – in rund 45 Interviews.
Als weiterführende Lektüre zum philosophischen Begriff des Digitalen, der Diversität und der Tatsache, dass “…Digitalität und Digitalisierung weniger miteinander zu tun haben, als es ihre Namensähnlichkeit vermuten lässt”, empfehle ich wärmstens Herbert Hrachovec, etwa zu Theorien und Praktiken des Digitalen in den Geisteswissenschaften.
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