Die Macht der Zeit – oder das Unwirkliche im Wirklichen
“Die Zeit verändert einen und läßt es doch zu, daß man zu sich selbst auch weiterhin „Ich“ sagen kann. Man gewöhnt sich daran, in den besten Momenten allerdings kann man darüber erstaunen, daß obwohl alles vergeht und durch einen hindurchgeht, man sich selbst irgendwie gleichbleibt. Wahrscheinlich allerdings nur, weil einen die anderen, nicht zu vergessen das Finanzamt, als den gleichen ansehen“. Rüdiger Safranski, Philosoph, Literaturexperte und Schriftsteller hielt die diesjährige Festrede zu den Salzburger Festspielen.
Der Universaldenker bringt feinsinnig, poetisch und augenzwinkernd auf den Punkt, was wohl jedem durch den Kopf geht – spätestens wenn er mit dem Tod konfrontiert wird: “Weil unaufhörlich die Dinge und Menschen in die Vergangenheit entschwinden, gibt es so unendlich vieles, für das man selbst jeweils der einzige und vor allem der letzte Zeuge ist und wenn die Zeugen verschwinden, stürzt das einst Wirkliche vollkommen ins Unwirkliche. Es ist dann so, als wäre es nie gewesen. Was von keinem mehr erinnert wird, ist aus der Welt verschwunden.“ Das Gefühl kennt übrigens auch jeder, der sich mit digitalen Technologien beschäftigt. Hier ein Interview dazu.
“Die Vergangenheit unserer Seelenzustände ist unwiderruflich verloren. Umso rätselhafter ist dann das Gefühl, daß man doch irgendwie derselbe bleibt“, so Safranski. “Wir können ein Musikstück auf einer CD immer wieder hören. Es bleibt dasselbe Musikstück. Aber wie einem zumute war, als man es das erste Mal hörte, können wir nur vermuten. Wissen können wir es nicht.“
Essays, Bücher, ja Bibliotheken zu diesem Thema könnte man füllen, doch die Problematik wäre wohl kaum gelöst. Dennoch drängt sich die Beschäftigung damit immer mehr in den Vordergrund meines Denkens – sei es aus persönlichen Gründen oder solchen, die aktuell unsere gesamte gesellschaftliche Entwicklung betreffen. Doch das Thema tiefergehender zu behandeln, dazu fehlt hier der Platz. Oder doch eher die Zeit?
Die gesamte Festspielrede von Rüdiger Safranski ist – sehr empfehlenswert – hier nachzulesen.